Der Ratzeputz aus Celle in der Lüneburger Heide war über Jahrzehnte eine Institution. Den Höhepunkt seiner Popularität erreichte der Schnaps mit Ingwerauszügen in den Wirtschaftswunderjahren der 1950er und 1960er Jahre. Die Geschichte des Ratzeputz verläuft sehr wechselvoll und seine Ursprünge sind bis heute nicht restlos geklärt.

1. Die Geschichte des Ratzeputz

1.0 Kurzüberblick
1.1 Die Wurzeln des Ratzeputz
1.2 Die Geburtsstunde des Ratzeputz
1.3 Der legendäre Ratzeputz
1.4 Das Wirtschaftswunder Ratzeputz
1.5 Der moderne Ratzeputz
1.6 Übernahme durch Schwarze & Schlichte

2. Die Ratzeputz Geschwister

2.1 Heidegeist – der große Bruder des Ratzeputz
2.2 Ratzingwer – die kleine Schwester des Ratzeputz
2.3 Tasting-Notes

3. Der Heidegeist

 

1.0 Kurzüberblick:

8.6.1378: Dem Celler Ratsweinkeller wird der Verkauf und Ausschank von Wein und Bier gestattet.[1]
1877: Peter Weidmann übernimmt von der Speisewirtschaft Baland & Langebartels den Celler Ratsweinkeller und die Rezeptur für den Ratzeputz.
1919: Peter Weidmann wird alleiniger Inhaber der Wein-Großhandlung C.W. Baland & Langebartels, baut die Marke Ratzeputz auf und vermarktet den Ingwerschnaps erstmals weit über die Grenzen von Celle hinaus.
1950er: In den Nachkriegsjahren kann Ratzeputz an die Erfolge der Vorkriegszeit anknüpfen.
1968: Ratzeputz-Relaunch in neuer Flasche (Verzicht auf das Bast-Netz) und reduziertem Alkoholgehalt von 58%vol anstelle von 60%vol.
1995: Produktion in Celle wird eingestellt – der Ratzeputz wird in Lizenz von Schwarze & Schlichte im westfälischen Rinteln produziert.
17.04.2014: Der Unternehmenssitz in Celle wird geschlossen und nach Bienenbüttel verlegt.
15.04.2018: Schwarze & Schlichte übernimmt die Markenrechte von der Familie Weidmann.

 

1. Die Geschichte des Ratzeputz

1.1 Die Wurzeln des Ratzeputz:

In der Jubiläumsausgabe „Unsere Wirtschaft“ zum 150. Jahrestag der Gründung der IHK Lüneburg-Wolfsburg wird die C.W. Baland & Langebartels Peter Weidmann Erben GmbH als das älteste Unternehmen des IHK-Bezirks vorgestellt. Der Markeneigentümer des Ratzeputz Schnaps kann seine Geschichte anhand einer alten Urkunde tatsächlich bis auf den 8. Juni 1378 zurückverfolgen. Freilich gab es damals noch keinen Ratzeputz, sondern damals bekam der Celler Ratskeller die Lizenz zum Wein- und Bierausschank.

Celle war damals noch nicht einmal 100 Jahre alt. Die Gründung im Jahr 1292 ging auf Otto II. der Strenge, Herzog von Braunschweig und Lüneburg, zurück, der Celle bereits im Jahr 1301 das Stadtrecht verlieh. Der Herzog Albrecht von Sachsen-Wittenberg wird 1369 durch Kaiser Karl IV. gemeinsam mit seinem Onkel Wenzel I. mit dem Fürstentum Lüneburg belehnt. Herzog Albrecht wählte 1378 Celle als seine Residenzstadt und man darf annehmen, dass die Einrichtung der Schankwirtschaft eine seiner ersten Amtshandlungen war.

Die Urkunde vom 8. Juni 1378 wurde von gleich drei Herzögen ausgestellt. Neben Albrecht unterzeichnete sein Mitregent und Onkel Wenzel I. von Sachsen-Wittenberg sowie Herzog Bernhard von Braunschweig und Lüneburg. Diese merkwürdige Konstellation geht auf den Lüneburger Erbfolgekrieg zurück, einem Konflikt zwischen den Herzögen von Braunschweig-Lüneburg und den Herzögen von Sachsen-Wittenberg um das Lüneburger Land. Dieser Konflikt wurde 1873 in Hannover durch eine Übereinkunft beigelegt. Diese Übereinkunft sah die abwechselnde Regentschaft der beiden Geschlechter über das Lüneburger Land vor, sowie diverse Vermählungen unter Familienangehörigen. Die Ausstellung der Urkunde im Jahr 1378 fällt damit in die Zeit der gemeinsamen Regentschaft der Herzöge von Sachsen-Wittenberg und Braunschweig-Lüneburg.

Bernhard I. geriet 1383 in Gefangenschaft und in der Folge brach der Konflikt zwischen den Herzögen wieder aus. Albrecht von Sachsen-Wittenberg verstarb im Juni 1385 und sein Onkel Wenzel im Mai 1388. Er erkrankte während der Belagerung der Residenz seines Gegners in Celle plötzlich und verstarb wenig später, vermutlich an den Folgen einer Vergiftung. Das Fürstentum Lüneburg wurde 1389 endgültig dem Haus Braunschweig-Lüneburg zugesprochen.

Auch wenn die Anfangszeit der Celler Schankwirtschaft sehr wechselvoll und mitunter auch gewalttätig verlief, tat dies ihrem langfristigen Erfolg keinen Abbruch. Die Gründungsurkunde mit den Siegeln der drei Herzöge liegt heute im Stadtarchiv Celle und ist ein einzigartiges Zeugnis für eine Ratskeller-Gründung in Deutschland. Im Safe des Stadtarchivs befindet sich auch eine der allerersten Bier-Quittungen. Der Celler Ratskeller wurde schon kurz nach der Gründung mit Einbecker Bier beliefert. So zumindest beweist es ein vom Vogt Brendehe handgeschriebener Beleg aus dem Gründungsjahr 1378.

Die Urkunde verlieh den Ratsmännern der Stadt Celle das Recht, „in dem Keller unter ihrem Rathause Wein und fremdes Bier zu schenken gegen eine Abgabe von einem alten Braunschweiger Schilling oder 16 Lüneburger Pfennigen für jedes halbe Fuder Bier.“[2]

1.2 Die Geburtsstunde des Ratzeputz

Der Firmenname C.W. Baland & Langebartels Peter Weidmann Erben GmbH in seiner vollen Länge ist bereits ein Kuriosum,welches auf eine lange und wechselvolle Geschichte hinweist. Baland & Langebartels waren im 19. Jahrhundert die Betreiber der Schankwirtschaft im Celler Ratskeller.Neben dem reinen Ausschank und der Bewirtung nahm aber auch der Handel mit Wein, Bier, Likör und anderen Spirituosen immer mehr zu. Die wachsende Nachfrage führte schließlich dazu, dass die Wein- und Spirituosenhandlung vom Betrieb der Speise- und Ausschankwirtschaft abgetrennt wurde.Keller2

Dies war die Stunde von Peter Weidmann, der den Handel mit Wein und Spirituosen ab 1877 und in den folgenden Jahren in Schwung brachte. Lange Zeit firmierte der Getränkehandel unter der Bezeichnung Ratsweinkellerei C.W. Baland & Langebartels K.G., an der neben Peter Weidmann auch die Inhaber der Schankwirtschaft weiterhin beteiligt waren. Den Geschäftssitz verlegte Peter Weidmann in die Zöllnerstraße 19, später wurde im Nachbarhaus, der Zöllnerstraße 20, auch ein Ladengeschäft eingerichtet. Im Haupthaus wurde neben dem Weinkeller mit Fasslagerung auch eine Destillationsanlage eingerichtet.Keller

Zwar wird die Gründung der Ratsweinkellerei durch Peter Weidmann im Jahr 1877 oftmals als Geburtsstunde des Ratzeputz angesehen, doch mit hoher Wahrscheinlichkeit wurde der Schnaps bereits zuvor in der Schankwirtschaft ausgeschenkt und eventuell auch abgefüllt. Für andere Liköre und Wacholder aus dem Hause Baland & Langebartels ist dies jedenfalls belegt.

Richtig berühmt wurde der Ratzeputz allerdings erst in den 1920er Jahren. Peter Weidmann wurde im Jahr 1919 alleiniger Inhaber der Weinhandlung C.W. Baland & Langebartels und erkannte das Potential, das in dem kräftigen Ingwerschluck steckte. Wie andere Kräuterliköre wurde Ratzeputz zu einer Marke aufgebaut, die weit über die Grenzen Celles bekannt wurde. Dazu verhalf dem Ratzeputz nicht zuletzt seine markante Ingwernote.

Alte Ratzeputz Flasche

[Bild: Alte Ratzeputz Flasche] Quelle: https://www.barth-celle.de/media/images/fl_ratzeputz-60-alt-large.png Jochen Barth von http://www.barth-celle.de/Ratzeputz Etikett

[Bild: Altes Ratzeputz Etikett] Quelle: https://www.barth-celle.de/media/images/ratzeputz-eti-01-sign-large.png Jochen Barth von http://www.barth-celle.de/

1.3 Der legendäre Ratzeputz

War der Ratzeputz bis zum Ende des Ersten Weltkrieges für die Weinkellerei Baland & Langebartels nur ein Nebenerwerb, baute man den Likör in den 1920er Jahren erfolgreich zur reichsweit bekannten Marke auf. In den 1930er Jahren gelangen dem Hersteller auch erste Formen des Product Placement. So wurde die Deutsche Spitzbergen Expedition 1937 mit dem Ratzeputz ausgestattet und es wurde von dort berichtet: „Ratzeputz … sollte bei keiner arktischen Expedition fehlen.“[3]

 

Claire Waldorff

[Bild: Claire Waldoff] Bundesarchiv, Bild 183-R07878 / CC-BY-SA 3.0

 

Die kabarettistische Chanson- und Liedsängerin Claire Waldoff feierte in Berlin in den Goldenen Zwanzigern ihre größten Erfolge. Die Bühnenkünstlerin lebte mit ihrer Partnerin Olga von Roeder eine offen lesbische Beziehung, war der Mittelpunkt des Nachtlebens und führte auch einen kulturell-politischen Salon. Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten wurde die unbequeme Claire Waldoff mehrmals mit einem Auftrittsverbot belegt. 1939 zog sie sich mit ihrer Partnerin Olga von Roeder nach Bayerisch Gmain zurück. Bei einem Bombenangriff 1944 verlor sie neben ihrer Bibliothek aus 2.800 Bänden auch sechs Flaschen Ratzeputz. Brieflich erkundigte sie sich bei Baland & Langebartels, ob trotz der Kriegswirren noch ein paar Flaschen Ratzeputz aufzutreiben wären.

 

Ratzeputz Laden

 

1.4 Das Wirtschaftswunder Ratzeputz

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs geht es auch für die Weinkellerei Baland & Langebartels in Celle an den Wiederaufbau. Dienten Spirituosen und Zigaretten in den ersten Nachkriegsjahren mehr als inoffizielle Währung denn als Genussmittel, änderte sich dies mit der Währungsreform vom 20. Juni 1948. Die Reichs- und Rentenmark wurde durch die Deutsche Mark ersetzt und bildete eine solide Basis für die Wirtschaftswunderjahre. Die Firma C. W. Baland & Langebartels Peter Weidmann KG meldete bereits am 01.10.1948 die Marke Ratzeputz an. Die Eintragung im Markenregister erfolgte freilich erst am 21.06.1950 und damit nach der Gründung der Bundesrepublik Deutschland.

Ratzeputz Laden 2

Von den 1950er bis in die 1980er Jahre hinein war Ratzeputz die ohne Zweifel bekannteste Spirituosenmarke der Lüneburger Heide. Besonders die rund 5.000 Soldaten der britischen Streitkräfte in Celle und Bergen-Hohne entwickelten sich zu einem Multiplikator, der den Ratzeputz in Norwegen, Südafrika, Neuseeland und nicht zuletzt in den USA bekannt werden ließ. Ezer Weizmann, von 1993 bis 2000 Staatspräsident von Israel, lernte den Ratzeputz während seiner Ausbildung zum Kampfpiloten auf einer britischen Militärbasis in Niedersachsen kennen. Er ließ sich den hochprozentigen Schnaps aus der Lüneburger Heide mehrmals vom Journalisten Broder Follath mitbringen.[4] Und in der Heimat forcierte sich die C.W. Baland & Langebartels Peter Weidmann KG immer stärker auf den Umsatzbringer Ratzeputz. Am 04.11.1954 wurde die Wortmarke „Was die Räder für den Wagen ist der Ratzeputz für den Magen“

Ratzeputz Wagen

beim Deutschen Patent- und Markenamt eingetragen. Der Spruch wurde zum Sinnbild für den Ratzeputz, verlor in den 1990er Jahren allerdings seine Bedeutung und wurde schließlich im Jahr 2014 auf Antrag des Markeninhabers endgültig gelöscht. Eine Folge der Health Claims Verordnung Nr. 1924/2006 der EG, die die Verwendung gesundheitsbezogener Begriffe bei der Bewerbung von alkoholischen Getränken untersagt.

Besonders eng war die Verknüpfung des Ratzeputz mit der heimischen Wirtschaft in der Region Celle bis in die jüngste Zeit. Die Firma Rheinmetall hat 1899 rund 25km nördlich von Celle ein Gelände gepachtet. Dieser Standort in Unterlüß ist mit 50 Quadratkilometern das größte private Test- und Versuchsgebiet in Europa. Für nationale und internationale Kunden führt dort die Rheinmetall Waffe Munition GmbH umfangreiche Tests von Waffen und Munition durch.[5] Bis in die 1990er Jahre war es üblich, den potentiellen Kunden ein Potpourri heimischer Spezialitäten zu überreichen. Die Firma C.W. Baland & Langebartels Peter Weidmann KG füllte den Ratzeputz gar in eigene Flaschen mit dem Aufdruck von Rheinmetall ab. Dies führte sogar zu der irrigen Annahme, der Ratzeputz sei ein Produkt der Firma Rheinmetall selbst. So äußerte sich Jürgen Trittin am 19. März 2014 kritisch über deutsche Waffen-Exporte via Twitter mit dem schon etwas älteren Spruch:

„Vor jedem Schuss, nach jedem Knall ein Ratzeputz von Rheinmetall“[6]

Noch 2016 hat Cedima, ein Hersteller von Diamant-Werkzeugen aus Celle, zusammen mit Ratzeputz für Trennscheiben, Bohrkronen und Bohrmotoren geworben.

 

Cedima Celle

[Bild: Cedima Celle] Quelle: https://cms.cedima.com/fileadmin/user_upload/pdf/Jahresendaktion-_Teuflisches_Duo/Jahresendaktion_Teuflisches_Duo_web.pdf

 

1.5 Der moderne Ratzeputz

Ende der 1960er Jahre erhielt die etwas angestaubte Optik des Ratzeputz eine neue Aufmachung. Auf das Netz aus Bast wurde verzichtet, der Alkoholgehalt von 60%vol. auf immer noch hochprozentige 58%vol. gekürzt. Bei der Etikettierung wurde am Flaschenhals eine Banderole angebracht, welche bis in jüngster Zeit mit zahlreichen Sprüchen versehen wurde. Zunächst wurde ausschließlich Plattdeutsch verwendet:

„Wenn di keen Minsch mihr hilpen kann
uns leiht nu nix mihr bi di an
denn mußt di eenfach sülbst kureern
un glieks den >Ratzeputz< probeern
uns Herrgott nöhm sin beste Krut
wi makt en gauten Druppen ut.“

Erst im Jahr 2009 hat man dem Plattdeutschen abgeschworen, ins Hochdeutsche gewechselt und den Spruch deutlich verkürzt:

"Ratzeputz" werd ich genannt,
hab Heimatsrecht in Celle,
und wer mich trinkt der fürchtet
nicht den Teufel und die Hölle.“

Für den Ratzeputz bedeuteten die 1990er Jahre aber auch einige harte Einschnitte. 1995 musste aufgrund jahrelang ausgebliebener Investitionen die Destillerie in der Zöllnerstraße 19 geschlossen werden. Die Anlagen und Einrichtungen entsprachen nicht mehr dem Stand der Technik und für eine Modernisierung fehlten schlicht die finanziellen Mittel. Fortan fehlte der wöchentlich scharfe Geruch, der bei der Destillation des Ratzeputz seit Jahrzehnten durch die Celler Innenstadt waberte. Die Herstellung erfolgte nunmehr in Lizenz durch Schwarze & Schlichte im westfälischen Rinteln.

Vertrieb und Marketing wurden in Celle und Umgebung in der Folge stark vernachlässigt, bis der Ratzeputz zeitweise gar nicht mehr verfügbar war. Schließlich verstarb der Geschäftsführer Heinz-Peter Weidmann, Enkel des Firmengründers, im Jahr 2007 und dessen Ehefrau übernahm die Geschäftsführung. Unter ihrer Ägide wurde der Vertrieb in der Region wieder ausgebaut, die Vielfalt an Abfüllungen mit der Taschen- und Bügelflasche wieder erhöht, Produktinnovationen wie Pralinen, Chutneys und Bratwürste mit Ratzeputz lanciert und die Marke mit der Werbe-Kampagne „Einfach härter“ in die Heavy Metal Szene rund um Wacken eingeführt. 2014 wurde der Unternehmenssitz in einem Gewerbegebiet im Celler Stadtteil Hehlentor aufgegeben und die Firma nach Bienenbüttel verlegt.

 

1.6 Übernahme durch Schwarze & Schlichte

Schließlich veräußerte die Familie Weidmann die Firma C.W. Baland & Langebartels Peter Weidmann Erben GmbH zum 15.04.2018 an die Friedrich Schwarze GmbH & Co. KG und damit die Markenrechte an Heidegeist und Ratzeputz. Die Geschichte des ältesten Unternehmens im IHK Bezirk Lüneburg-Wolfsburg endet damit wenige Wochen vor dem 640jährigen Jubiläum. Die Marken Ratzeputz, Heidegeist und Ratzingwer haben mit der Friedrich Schwarze GmbH & Co. KG aber einen neuen starken Partner gefunden, der den Fortbestand und die Weiterentwicklung des Produktportfolios der Marken sichern kann.

 

2. Die Ratzeputz Geschwister

2.1 Heidegeist – der große Bruder des Ratzeputz

Der Gute Heidegeist ist ein klarer Kräuterschnaps, der aus 31 Kräutern hergestellt wird. Im Jahr 2011 wurde der Heidegeist als kulinarischer Botschafter Niedersachsens ausgezeichnet.[7] Die Flasche mit dem markanten bärtigen Herren mit Hut vor einer Heidelandschaft hat erst kürzlich einen Relaunch erfahren.

Der Heidegeist ist deutlich milder als der Ratzeputz und trotz des hohen Alkoholgehaltes von 50%vol gut zum puren Genuss geeignet. Die Rezeptur des Guten Heidegeistes wurde Ende des 19. Jahrhunderts entwickelt. Früher waren die Bewohner der Heidedörfer noch sehr abergläubisch, so dass man dem Heidegeist den Zusatz „Guter“ voranstellen musste, denn ein Heidegeist war im Volksglauben und in den Geschichte, die man sich erzählte, negativ besetzt. Der Schnaps stand lange Zeit und steht noch heute vielfach im Schatten des Ratzeputz. Doch die Verkaufszahlen des Heidegeist sind über die Jahre kontinuierlich gestiegen und gerade in der Lüneburger Heide hat sich der hochprozentige Schnaps zum beliebtesten Mitbringsel entwickelt.

 

2.2 Ratzingwer – die kleine Schwester des Ratzeputz

Der Ratzingwer ist eine Spirituose mit Ingwerauszügen und einem Alkoholgehalt von 35%vol. Durch den geringeren Alkoholgehalt erreicht der Ratzingwer nicht die Schärfe des Ratzeputz. Ursprünglich wurde der Ratzingwer auf Wunsch der örtlichen Gastronomie hergestellt, die sich einen Ersatz für den sehr hochprozentigen Ratzeputz wünschte. Viele Gäste waren nach dem Verzehr nur einiger Ratzeputz derart betrunken, dass sie als zahlende Gäste ausfielen. Um solchen Umsatzausfällen vorzubeugen, wurde den Gäste anstelle Ratzeputz der etwas mildere Ratzingwer eingeschenkt. Heute wird Ratzingwer als kräftiger Ingwerlikör sehr gerne für die Zubereitung exotischer Cocktails und für die gehobene Gastronomie verwendet. Die Bekanntheit der Marken Ratzeputz und Heidegeist hat der Ratzingwer allerdings nie erreicht, auch wenn für diesen Schnaps im Zusammenhang mit Papst Benedikt VXI., bürgerlich Joseph Aloisius Ratzinger, die äußeren Umstände für eine Werbekampagne bis 2013 geradezu ideal waren.

 

2.3 Tasting-Notes

Wie schmeckt Ratzeputz?

Der Ratzeputz hat ein intensives Ingweraroma mit einer markanten Schärfe am Gaumen. Der Abgang ist extrem lang und stark. Der Schnaps ist nichts für Anfänger.

Wie schmeckt Heidegeist?

Heidegeist sollte man leicht gekühlt genießen. Führen Sie die Auszüge von 31 Kräutern mehrmals an Ihrer Nase vorbei. Besonders die Pfefferminznote kommt klar zum Vorschein. Am Gaumen entfalten sich die Kräuter nach und nach, der Alkohol entwickelt trotz der 50%vol nur eine leichte Note. Auch im Abgang bleibt der Schnaps mild und weich, die Kräuter wirken lange nach.

Wie schmeckt Ratzingwer?

Die markante Ingwernote des Ratzingwer zieht bereits beim Öffnen der Flasche an der Nase vorüber. Im Glas zeigt sich der Ratzingwer gold-braun und ölig. Der Ingwer ist auch am Gaumen sehr präsent, wenngleich nicht so scharf wie der Ratzeputz. Auch der Abgang fällt eine Spur kürzer aus. Wer sich nicht gleich an den Ratzeputz traut, kann sich mit einem Ratzingwer eingewöhnen.

 

3. Der Heidegeist

von Victor Blüthgen

 

Es war ein junger Mensch, der hieß Lajosch. Der saß dort, wo die Felder eines ungarischen Heidedorfes aufhörten und die Heide anfing, auf einem Steine und hatte nichts an als ein Paar weite, unten ausgefranste Leinwandhosen und ein weites Leinwandhemd mit einem Gürtel, dazu einen alten schmutzigen Filzhut auf dem pechschwarzen Zottelhaar. So gingen die Leute in dem Heidedorfe alle. Er that nichts, als daß er mit seinen schwarzen träumerischen Augen auf die Heide hinaussah, auf welcher der Nachmittag lag; und wie weit konnte er sehen! – bis dahin, wo der Himmel und das Graugrün der glatten Ebene sich berührten. Es waren gewiß viele Meilen bis dahin. Der Himmel war wie ein blaues Meer, und die Heide wie ein grünes, am Himmel war nichts zu sehen, und auf der Heide auch nichts. Und eben weil nichts zu sehen war, träumte Lajosch so gedankenlos vor sich hin; seine Seele war das dritte Meer, auf dem nichts zu sehen war.

Endlich war es ihm doch einen Augenblick, als sähe er etwas, nämlich kleine hellere und dunklere Punkte, die sich bewegten – weit, weit fort in dem Grünen; und nun dachte Lajosch auch etwas: er dachte, daß es die Pferde eines Tschikosch seien, vielleicht des Tschikosch Sador Pal, den er kannte. Ein Tschikosch ist nämlich ein Pferdehirt in der Heide.

Mit einemmal – er wußte nicht, wies kam – stand Lajosch auf und ging auf die Heide.

Die Ziesel fuhren vor seinen Schritte in ihre Löcher; ein paar Raubvögel flogen auf und kreisten über ihm. Er schritt durch das kurze Gras, durch Wolfsmilcharten und Heideblumen, welche die Nachmittagssonne sengte, und dachte, er müßte den Pferden allmählich näher kommen; aber dem war nicht so, und das ärgerte ihn. Er ging desto schneller. Als der Tag sich neigte und die Sonne wie ein Ball von glühendem Eisen in rötlichen Dunst versank, blickte er sich um: Das Heidedorf war nicht zu sehen.

Lajosch fürchte sich weder vor der Einsamkeit noch vor dem Schlafen unter freiem Himmel. Er fand zuletzt noch einen kleinen Sumpf mit ein paar alten Pappeln darum, dort legte er sich auf den Boden.

Aber zu schlafen vermochte er nicht. Er horchte auf die Stimmen der Heide, ein Rascheln, einen Schrei, fernes Gebell und das Glucksen aufsteigender Sumpfblasen. Endlich fing er an, die Sterne zu zählen.

Da ging ein Windsausen durch die Heide; die Pappelzweige klapperten zusammen und Blätter zischelten, und Lajosch meinte von weit her Musik zu hören und Pferdegetrappel. Als er sich ein wenig aufrichtete, gewahrte er einen lichten Nebel, in dem sich Rosse tummelten und Gestalten bewegten. Das Sausen schwoll zum Sturm an, Wirbel kreiselten um ihn und schüttelten Staub und dürres Graswerk über ihn, und wie der Sturm, so rasten die Rosse näher mit den Reitern darauf, lange Peitschen flogen und knallten, Hunde bellten und sprangen an den Pferden in die Höhe, und durch alles ertönte ein Zimbal und eine Geige.

„Der Heidegeist!“ sagte Lajosch und duckte sich in das Gras.

Er sah nichts mehr, aber er hörte, wie es rund um den Sumpf sprach: „Guten Abend, Herr!“ – und es war, als ob das die alten Pappeln sein müssten, die es sprachen. Da rief eine Stimme:

„Was macht mein Haus in Schilf und Rohr?
Was macht meine Tochter im finstern Moor?“

Und um den Sumpf herum sagte es:

„Das Häusel ist blank, Euer Kind das steht
Und flicht die Zöpfe beide
Hat gesponnen von früh bis spät
Pappelwolle zum Kleide.“

„Es ist gut,“ sprach die Stimme. „Aufgespielt, ihr Faulen!“ Und das Zimbal und die Geige klangen, und was sie spielten, war ein Tschardasch, den Lajosch kannte. Ein Tschardasch ist eine Tanzweise, und ein Zimbal ist ein kleiner Klavierboden mit Saiten, die man mit zwei Klöppeln schlägt.

Lajosch lag wie ein Toter. Mit einemmal vernahm er ein Schnaufen dicht neben sich, das Schnaufen von Pferdenüstern, und der warme Hauch ergoß sich über seinen Nacken. „Joi!“ rief es rauh über ihm, „da liegt ein Bursche. Auf ein Pferd mit ihm!“ Und Lajosch hörte Geschnalz und Pferdetritte, die näher kamen, und dann fühlte er, wie es ihn am Gürtel packte und durch die Luft schwang, bis daß er saß. Er öffnete furchtsam die Augen; da fand er sich auf einem Pferderücken und blickte in eine zottige Mähne.

„Wie heißt du?“
„Lajosch.“
„Willst du mit reiten?“
„Ja.“

Er sah einen alten Mann zu Pferde neben sich, mit weiten weißen Beinkleidern, bauschigen Hemdärmeln und offenen Schnürenrock, dazu einer Astrachanmütze auf dem Kopfe. Sein grauer Bart hing bis auf die rote Pferdedecke und sein Haar bis tief in den Rücken nieder, und durch die gewaltigen Brauen funkelten seine Augen wie Glühwürmer. Das war der Heidegeist. Zwei Zigeuner ritten, der eine hatte das Zimbal vor sich und hämmerte, und der andere geigte. Weiterhin jagten sich wilde Pferde; braune Burschen und langzöpfige Dirnen saßen darauf, nacktfüßig und jauchzend schwangen sie Peitschen, die Pferde im Kreise wirbelnd, daß sie kaum zu erkennen waren, oder wie Pfeile mit ihnen da- und dorthin schießend. Der Sumpf war voll flackernder Lichter, und die Pappeln glichen nicht mehr Bäumen, sondern ehrwürdigen Greisen mit langem graugrünem Haar, die gesenkten Hauptes in das Wasser blickten. Plötzlich wallte das Wasser auf und zerteilte sich; ein schönes schwarzäugiges Mädchen stieg heraus in weißem seideglänzendem Rocke und rotem Mieder mit Goldschnüren und flog auf den Alten neben Lajosch zu, der sie auf sein Pferd hob und küßte, und da sah Lajosch, daß sie zwei schwarze Zöpfe hatte so lang wie sie selber, die ganz mit rotem Band durchflochten waren.

„Hujoh!“ rief der Heidegeist, und jagte bei dem Sumpfe vorüber, auf dem die Lichter verloschen; hinter ihm her flogen die Geisterpferde, die Luft sauste und zischte, und wenn der Staub aufflog, war er ein schimmernder Nebel, bis er wieder gesunken war. Sie trafen auf eine Umzäunung, in der eine Herde von Pferde erschreckt umher tobte. Der Heidegeist zeigte auf einen Schimmel, der wie Schnee leuchtete, eine Peitschenschnur traf ihn und er sprang mit einem Satze über den Zaun und der Heidegeist schleuderte das schöne Mädchen durch die Luft, daß sie auf den Rücken des Schimmels flog. Die weiße Mähne flatterte ihr bis in das Gesicht, und sie ergriff einen Haarbüschel und wickelte ihn um die Hand, so saß sie.

Lajosch hatte alle Furcht verloren. Sein Herz in der Brust jauchzte bei dem wilden Ritt, denn er kannte kein größeres Vergnügen als zu reiten; das war es, warum er mit Sador Pal, dem Tschikosch, Freundschaft gehalten hatte, und er wäre selber am liebsten ein Tschikosch geworden. Aber was war ein Ritt auf dem kleinen schwarzen Hengst Sador Pals gegen diese Jagd durch die Sternennacht über der Heide! Die Geister kamen zu ihm heran im Vorüberreiten und nickten ihm zu, die Männer und die Dirnen, und einmal auch das schöne Mädchen des Heidegeistes; es sah ihm eine Weile ins Gesicht und sprengte dann über Seite. Das Antlitz des einen Mannes kam ihm bekannt vor: er sah aus wie der Karman Schandor, den er als kleiner Junge gekannt hatte und den mit einemmal niemand mehr gesehen, seit ihn die Panduren gesucht hatten, weil er Pferde gestohlen haben sollte.

Und zum Reiten kam noch die Musik! Man hörte ganz deutlich die schwirrenden Läufe des Zimbal und das wilde Kratzen auf der Geige, denn die Zigeuner spielten alles so rasch wie man den Frisch, die zweite Hälfte des Tschardasch, spielt.

In der Ferne loderte ein Feuer auf; es brannte vor einer verfallenen Heideschenke, dort hielt alles an und sprang von den Pferden. An der Mauer standen Krüge und die Geister tranken; auch Lajosch, und er schmeckte, das er guten Wein trank, und als er ein paar Tropfen davon auf die Erde schüttete, waren es glühende Funken, die erloschen. Dann tanzte alles, einen Tschardasch nach dem anderen; Lajosch konnte sie alle singen: „Im Waldesdunkel, im dichten Wald“, „Ruhig fließt die Marosch“, „In der Stille hab ich wollen lieben“, und wie sie sonst anfingen. Das Feuer flackerte so lustig, die Tänzer stampften und regten die Hände so wild, die Haare flatterten, die Dirnen flogen im Kreise durch die Luft um die kreischenden Burschen. Und Lajosch tanzte mit; er konnte nicht anders, denn des Heidegeistes Tochter kam und faßte seinen Arm und wollte mit ihm tanzen.

Es war merkwürdig, daß sie die einzige war, die blühend rote Wangen hatte; alle anderen waren so blaß wie Wachs.

Man tanzte und man trank. Und endlich saß alles wieder auf, und vorwärts ging es wieder in die dunkle Heide. Das Heider bei der Heideschenke war erloschen. Die Peitschen knallten, die Hunde heulten und der schimmernde Nebel stob auf, und Lajosch war glücklich. Nur die eine Frage quälte ihn: ob er nun auch anderen Tages wieder in dem Heidedorfe sein könnte? Dort wohnten seine Eltern, seine Schwester, die Irma, und sein der Bruder, der Ischtwan. Er hatte alle vier sehr lieb.

Sie ritten, bis der Himmel im Osten sich zu lichten begann; da lagen weite blitzende Wasserflächen vor ihnen und Lajosch dachte bei sich: das ist die Theiß! Aber es waren nur ihre Sümpfe. Plötzlich sprangen die Pferde in das Wasser hinab und Lajosch schloß die schwindelnd die Augen. Naß wurde er nicht, und als er die Augen öffnete, hielt er in einer Halle. Es war nicht hell und nicht dunkel darin; ein Zwielicht, das kam von den Wassertropfen, die überall an den Wänden glommen. Lajosch that wie die anderen: er sprang vom Pferde und legte sich auf ein dickes Schilflager zum Schlafen. Müde war er sehr, und sein Herz war bekümmert. Er wäre doch lieber oben auf der Heide geblieben und hätte das Heidedorf aufgesucht; er dachte daran, wie sehr vier Menschen sich ängstigen würden, wenn er noch immer nicht nach Hause kam. Aber er schlief ein.

Einmal wachte er wieder ein wenig auf während des Schlafes. Er fühlte einen Schmerz auf der Brust, gerade über dem Herzen, und er fühlte, wie das Herz ängstlich schlug, und blinzelnd sah er schwarzes Frauenhaar vor sich und Zöpfe, die mit rotem Bande durchflochten waren. Er holte tief Atem; da richtete es sich von seiner Brust auf und des Heidegeistes Tochter sah ihn mit ihren schwarzen, brennenden Augen so geheimnisvoll an; ihre Nüstern zuckten und ihr voller, roter Mund lächelte leise. Und Lajosch seufzte tief auf und schlief wieder ein.

Er merkte nichts weiter davon, wie des Heidegeistes Tochter von seinem Herzblut trank.

Als er aufwachte und mit den übrigen zu Pferde wieder aus dem Wasser auf die Heide ritt, war es Nacht. Die Sterne blinkten und der Nachtwind raschelte durch die Gräser. Es war ihm so leicht in der Brust, aber auch so leer; er griff nach seinem Herzen und es schlug noch, nur nicht so kräftig wie früher. Sie ritten wie in der Nacht zuvor. Die Gegend dünkte Lajosch zwar eine andere, den Sumpf mit den Pappeln trafen sie nicht; aber die Heideschenke, vor der sie Halt machten, war die gestrige. Die Geister sprachen mit ihm, und der eine davon war der Karman Schandor. Es war merkwürdig, daß er sich auf seinen Namen erst besinnen konnte, als Lajosch ihn nannte; er wusste nicht einmal mehr, was Panduren waren. Nun bekam Lajosch Wut und fragte den Heidegeist, ob er ihn nicht wolle heimkehren lassen.

„In ein paar Tagen,“ sagte der Heidegeist.

Ein paar Tage vergingen, und Lajosch fragte wieder. Aber er fragte eigentlich nur so nebenbei, weil er gerade an das Versprechen dachte, und er verwunderte sich selber, wie gleichgültig ihm bei der Frage um das Herz war.

„Was willst du daheim?“ sprach der Heidegeist.

„Es ist nur wegen meiner Eltern,“ antwortete Lajosch, „und wegen der Irma und des Ischtwan. Mir ist, als ob ich schon hundert Jahre von ihnen fort wäre, ich kann mich gar nicht mehr besinnen, wie sie ausschauen.“

„Du kannst sie sehen.“

Sie schwenkten vom Wege ab und kamen an einen Ziehbrunnen, dort winkte der Heidegeist, und Karman Schandor sprang vom Pferde, ließ den Eimer hinab und zog ihn wieder herauf. In dem Eimer stand ein alter Mann und hielt sich mit zitternden Händen an die Kette. Seine Augen waren geschlossen. Und Lajosch ritt vor und schaute dem alten Manne in das braune Gesicht; es kam ihm halt so vor, als ob es sein Vater wäre, aber so recht wußte er es doch nicht.

„Ich kenne ihn nicht,“ sagte er endlich ganz verlegen, und der Heidegeist schlug ein lautes Gelächter auf. Karman Schandor aber ließ den Eimer fahren, daß man ihn unten hart aufschlagen hörte. „Du hast keinen Vater mehr,“ sagte er zu Lajosch.

„Der Wind ist dein Vater und die Heide deine Mutter.
Beh! ein lustig Reiten auf der Heide glatt,
Wenn des Windes Roß mit uns um den Preis ringt;
Schneller ist mein weißes Roß, wie Seide glatt,
Glatt und silbern wie der Fisch aus der Theiß springt –„

so sang er, und die Zigeuner spielten es. Karman Schandor aber sprang auf sein Pferd, und jauchzend flog der Schwarm wieder mit Lajosch in die Nacht hinein.

„Ich habe keinen Vater mehr, und ich habe keine Mutter mehr,“ sagte Lajosch für sich, und er fühlte wieder an sein Herz und fand, das es kaum mehr zuckte. Er wollte mit aller Gewalt Heimweh haben, aber es ging nicht; es war ihm, als gehöre er zur Heide wie die Blumen und der Wind, und alles andere war ihm gleichgültig. Bloß wundern konnte er sich noch darüber, daß es so war. Vielleicht nur ein paar Tage noch, dann konnte er auch das nicht mehr, und sein Herz stand ganz Stille.

„Nach Hause!“ dachte Lajosch bei sich, und während er diesen Gedanken festhielt, ward er lebhafter. Aber wie nach Hause kommen? Flüchten? – in wenig Augenblicken würde man ihn eingeholt haben.

Da – war das nicht ein Dorf? Er sah etwas wie Häuser in der Ferne und hörte Hunde bellen; und er sah noch mehr: ein Feld mit Kukuruz [Mais], nur hundert Schritte weit, und in der einen Ecke des Feldes stand ein hölzernes Kruzifix mit einem Kürbisgerank um den Stamm. Und Lajosch glitt vom Pferde und rannte wie gepeitscht auf das Kruzifix zu. Hinter sich vernahm er Geschrei und wildes Rossegetrappel, aber er hielt den Stamm des Kruzifixes umfaßt, schloss die Augen und rührte sich nicht. Eine Müdigkeit überkam ihn, und nur wie im Traum hörte er verhallende Rufe: „Lajosch! Lajosch!“

Es war die Tochter des Heidegeistes, die ihn rief.

Am Morgen wachte er auf und ging in das Dorf. In der Brust spürte er ein tiefes Weh, eine brennende Sehnsucht nach der stillen, weiten Heide; hätte er den Rücken eines Rosses unter sich gehabt, er wäre vielleicht umgekehrt. Die Leute in der Dorfgasse sahen ihn mit neugierigen Blicken an: „Ischtenem [Oh mein Gott], wie blaß er aussieht! Ein fremder Bursch, der aussieht wie eine Leiche!“ Und sie ging ihm scheu aus dem Wege. Aber Lajosch kümmerte sich nicht um sie. Er ging dorthin, wo der Turm der Dorfkirche ragte, und schritt die Stufen des Pfarrhaues hinauf.

„Herr,“ fragte er mit tiefer Angst und küßte die Hand es alten Pfarrers, „ich habe alles vergessen, was ich lieb gehabt habe, Vater und Mutter, die Irma und den Ischtwan, mein Dorf und meine Freunde. Ich habe nur eines lieb: Die Heide draußen. Und das kommt davon, weil ich mit dem Heidegeist geritten bin, und mit seiner Tochter und dem Karman Schandor und den anderen. Es war schön das, ehrwürdiger Vater, sehr schön“ – und die Augen des armen Lajosch leuchteten wie glühende Kohlen -  „aber mein Herz das will nicht mehr schlagen, und ich weiß nicht einmal mehr, wie mein Vater aussieht.“

„Komm!“ sagte der alte Mann.

Er ging mit Lajosch in die stille, kühle Kirche, nahm vom Altarbrot und gab es ihm in den Mund. „Nimm und iß!“ sprach er. „Das ist die Liebe zu den Brüdern.“ Und während Lajosch aß, fühlte er, wie sein Herz stärker und stärker klopfte und seine Wangen heiß wurden; die Erinnerung an den Heidegeist verdämmerte in seinem Kopfe und er ward wieder derselbe Lajosch, der auf dem Stein gesessen und nachher die Pferde Sador Pals gesucht hatte.

Der Pfarrer sorgte dafür, daß er in sein Dorf zurückkehrte. Dort ist alles mit Fragen auf ihn eingestürmt, wo er die Tage her gewesen, aber er sagte nichts, als daß er in der Heide gewesen und bei jenem anderen Dorfe wieder hausgekommen war. Vor der Heide behielt er eine tiefe Scheu, und er ist nachher ganz aus ihrer Nähe fort in eine große Stadt gezogen.

 

Die Erzählung „Der Heidegeist“ aus dem Sammelband „Hesperiden. Märchen für Jung und Alt.“ von Victor Blüthgen erschien erstmals 1878 im Leipziger Verlag Alphons Dürr. Die Sage vom Heidegeist entstammt in den Grundzügen offenbar der ungarischen Volksmythologie und spielt im östlichen Ungarn an den Ufern der Theiß.



[1] Ein teuflisch guter Jahrgang, in: Unsere Wirtschaft Industrie- und Handelskammer Lüneburg-Wolfsburg 5/2106 Seite 6-7.

[2] Aus der Geschichte des Ratskellers, online verfügbar: https://rkcelle.de/geschichte/

[3] Baland & Langebartels im Wandel der Zeit, online verfügbar: https://web.archive.org/web/20090414155714/http://ratzeputz-celle.de:80/about_us_de.html

[4] Vgl. Gebt den Juden Schleswig-Holstein!: Wenn Deutsche Israel kritisieren – ein Streit, von Henryk M. Broder, Erich Follath, Spiegel Buchverlag, Vorwort Seite 6.

[5] Vgl. Erprobungszentrum Unterlüß – EZU, online verfügbar: https://www.rheinmetall-defence.com/de/rheinmetall_defence/systems_and_products/test_centres/ezu_rheinmetall_test_centre_unterluess/index.php

[6] Vgl. Twitter @JTrittin, online verfügbar: https://twitter.com/jtrittin/status/446253937893863425?lang=de

[7] Vgl. Kulinarischer Botschafter Niedersachsen, online verfügbar: https://www.kulinarische-botschafter-niedersachsen.de/kulinarische-botschafter/spirituosen/guter-heidegeist/